Die evangelische Kirchengemeinde zu Staaken

Die evangelische Kirchengemeinde zu Staaken

Die evangelische Kirchengemeinde zu Staaken

# Über uns

Die evangelische Kirchengemeinde zu Staaken

Das gesamte Buch zum download: Zwiespalt und Vielfalt

Kapitel 2

Die evangelische Kirchengemeinde zu Staaken

In der Einleitung schrieb ich, die evangelische Kirchengemeinde zu Staaken sei die spannendste und anregendste Gemeinde im gesamten Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das möchte ich im Folgenden verdeutlichen. Allerdings ist es mir hier unmöglich, eine umfassende Geschichte dieser Kirchengemeinde zu präsentieren, ich möchte lediglich einige kurze Schlaglichter präsentieren, die mir bedeutsam scheinen. 

Im Mittelalter

Im Jahre 1308 wird für Staaken der erste leutpriester Johann de Morzahn erwähnt. Eine Kirche wird erbaut und nach einem Brand wahrscheinlich in den Jahren 1436 bis 1438 wieder errichtet, so steht es auf der homepage des Freundeskreises der Dorfkirche Alt-Staaken zu lesen.

Von 1540 bis 1560 wirkte in der Reformationszeit der evangelische Pfarrer Johann Georg Ebel in Staaken. Er war aus Sachsen gekommen und wegen des Glaubens inhaftiert gewesen. Er wurde alt und krank und nach ihm wurde das Dorf Staaken 333 Jahre lang von diaconi der St. Nikolai Kirche in Spandau kirchlich versorgt, die Staakener Gemeinde war St. Nikolai inkorporiert, auch, weil das Dorf Seeburg seit 1560 kirchlich von Dallgow aus betreut wurde. Einer der diaconi war von 1767 bis 1772 der spätere Superintendent und Chronist Spandaus Daniel Friedrich Schulze. Seit dem Mittelalter gab es großen kirchlichen Landbesitz, zum Einen durch das Kloster der Benediktinerinnen St. Marien, zum anderen durch das Hospital zum Heiligen Geist. Die jeweiligen Geistlichen erhielten dadurch ihre Einkünfte. 1714 wird der Kirchturm angebaut, er erhält 1732 „wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens“ an dieser Staakener Kreuzung, eine Turmuhr, so schreibt es Daniel Friedrich Schulze später auf. Im Jahr 1893 erhält die Gemeinde wiedereine Pfarrstelle, die 1894 mit Walter Pfautsch besetzt wird.

Auch die Kirchengemeinde zu Staaken hatte und hat nach wie vor erheblichen Grundstückbesitz. Dazu gehören der sogenannte „Sonnenhügel“ südlich der Heerstraße, das Eckgrundstück Heerstraße/Nennhauser Damm, welches seit über 20 Jahren an Mc Donald und NETTO verpachtet ist, sowie die Zufahrtsstraße zum Gewerbegebiet Zeppelin-Park aber auch das Gelände Brunsbütteler Damm 312, auf welchem ab 1962 das Bau-Ensemble der Zuversichtskirche geplant und errichtet wurde. Zugunsten des Baus des Staakener Zeppelin-Flughafens wurde vor gut 100 Jahren ein großer Teil des Kirchenlandes verkauft.

Da in den alten Grundbüchern als Besitzer die Kirchengemeinde zu Staaken firmiert, war es höchst sinnvoll und naheliegend, bei der Fusion zum 1. Mai 1999 eben diesen alten, historischen Gemeindenamen wieder einzuführen. Allerdings haben die entsprechenden Verhandlungen Jahre gedauert und waren überaus kompliziert.

Spaltung in Ost und West (1951-1962) und die Schwierigkeiten des Zusammenkommens (ab 1990)

In Staaken nämlich hat, wie schon angedeutet, die Weltgeschichte ganz unmittelbaren und starken Einfluss auf sämtliche Lebensbedingungen gehabt. Nach dem Ende des II. Weltkrieges wurde Staaken schon am 2. Februar 1951 politisch geteilt. Ein alliierter Gebietsaustausch führte dazu, dass West-Staaken dem Magistrat Ost-Berlin unterstellt wurde, die Sowjets erhielten den Staakener Flughafen (und die Briten den Gatower Flughafen). Von einem Tag auf den anderen mussten sich zum Beispiel die Schülerinnen der damaligen Post-Schule entscheiden, ob sie weiterhin dort oder nicht doch in anderen Schulen in Spandau weiter lernen konnten, je nach ihrem Wohnsitz. Die Anwohner der Hauptstraße östlich des Nennhauser Damms erlebten ein strenges Grenzregime mit reglementierten Zugangs-Bedingungen und Ausweis-Kontrollen.

Die Dorfkirchengemeinde Staaken, wie sie damals hieß, (vielleicht nach der Verselbstständigung der Kirchengemeinde Staaken-Gartenstadt zum 1. Januar 1925) versuchte in diesen 50er Jahren nach Kräften ihre Einheit zu wahren. Das August-Hermann-Francke Heim, am Ostermontag 1938 eingeweiht, war der im politischen Westen gelegene Standort am Cosmarweg.

Der entschiedene Pfarrer der Bekennenden Kirche, Johannes Theile, war von 1952 bis 1958 hauptsächlich in diesem Teil der Gemeinde tätig. Die Protokollbücher des damaligen Staakener Bruderrates (DDR) zeigen ein bewegendes Bild dieser Anstrengungen, so sind zum Beispiel die Wahlen zum noch gemeinsamen (!) Gemeindekirchenrat 1959 zeitgleich in den geographisch östlich und westlich gelegenen Teilen der Gemeinde durchgeführt worden und im jeweils anderen Teil abschriftlich protokolliert worden.

Am 13. August 1961 jedoch stürzte der sogenannte „Mauerbau“ die Staakener Bevölkerung und die Kirchengemeinde in neue Bedrängnisse und neue Entscheidungen mussten getroffen werden. Am 17. Oktober 1961 ergab eine wiederum zeitgleich durchgeführte Befragung von Gemeindegliedern in Ost und West den jeweiligen Wunsch nach „Verselbstständigung“ der jeweiligen Gemeindegebiete. Im (politischen) Westen wurde dabei die bleibende gemeinsame Bindung an den (kirchlichen) Berliner Stadtsynodalverband hervorgehoben. Zum 1. Januar 1962 dann erfolgte durch das Konsistorium in der Neuen Grünstraße in Ost-Berlin die „Neubildung“ der Kirchengemeinde Alt-Staaken/Albrechtshof, welche mit der Wahl eines neuen Gemeindekirchenrates am 20. Mai 1962 rechtskräftig wurde. Sie umfasste auch die geographisch westlich des Grenzverlaufs gelegenen Gebiete der Kirchengemeinde Staaken-Gartenstadt.

Diese wahrhaft historischen und zum Teil tragischen geschichtlichen Entwicklungen mussten nach der sogenannten „Wende“ und „Vereinigung“ kirchlich neu geordnet werden und nach Lage der Dinge konnte das nicht ohne neue Verletzungen und Missverständnisse abgehen. Spiegelbildlich zur allmählichen Verselbstständigung der Gemeindegebiete in den 50er Jahren kann man in den Protokollbüchern der 90er Jahre des Gemeindekirchenrat der Dorfkirchengemeinde Staaken (West) die allmähliche Wiederannäherung der nunmehrigen zwei Kirchengemeinden nachvollziehen. „Alt Staaken“ war regelmäßiges Thema in den Beratungen. Ein entsprechender Ausschuss wurde gebildet, in dem der GKR-Vorsitzende der Gemeinde Alt Staaken/ Albrechtshof mitwirkte. Es kam auch zu gemeinsamen Sitzungen der Gemeindekirchenräte. Bei den zu verhandelnden Grundstücksfragen ging es letztlich immer um die Rechtsnachfolge der alten Staakener Gemeinde aus der Vorkriegszeit.

Ob die Zeit Wunden heilt? Jedenfalls ist jetzt, 30 Jahre nach der (Wieder) Vereinigung, kirchlich die Region West im Kirchenkreis Spandau identisch mit dem historischen Staaken (inklusive der Kirchengemeinde Staaken-Gartenstadt) und seit gut 20 Jahren ist der historische Namen der „Kirchengemeinde zu Staaken“ wieder in zunehmend selbstverständlichem offiziellem Gebrauch.

Unterhalb des offiziellen Rahmen und Namen sind allerdings die lokalen örtlichen Gegebenheiten nach wie vor in lebendiger Erinnerung, allerdings (vielleicht auch notwendigerweise?) auf das konkrete persönliche Erleben eingegrenzt. So ist nach wie vor innerhalb der Kirchengemeinde zu Staaken oft von „drei Gemeinden“ die Rede, gemeint sind damit dann Dorfkirche (Alt) Staaken, Zuversichtskirche sowie Heerstraße Nord. Schon der offizielle Name „Dorfkirchengemeinde Staaken (West)“ für die Gemeinde um das August-Hermann Francke Heim und die spätere Zuversichtskirche am Brunsbütteler Damm herum (= der seit 1962 verselbstständigte geographisch östlich gelegene Teil der alten Staakener Gemeinde) ist weitgehend unbekannt. Diese historisch gewordenen Entwicklungen übersteigen offenbar die individuell erfassbaren Gegebenheiten.

Auch „im Osten“, in West-Staaken also, gab es im Übrigen zwei Gemeindeteile, nämlich den südlichen Teil um die Dorfkirche und den nördlichen Teil in Albrechtshof, wo in der zweiten Hälfte der 50er Jahre mit großem Einsatz der Gemeindejugend die Missionslaube oder auch „Bethlehemskappelle“ erweitert worden war, zur Zeit des Predigers Gottfried König. Ab 1962 wirkte Pfarrer Wilhelm Haack in der Gemeinde und es fanden im unmittelbaren Mauer-Bereich regelmäßig Sonntags-Gottesdienste statt, die oft von Frau R. als Lektorin sowie mit der Flöte gestalterisch bereichert wurden. Seit 1978 bis heute wohnt sie in ihrem Haus an der Heerstraße und gehörte zu den Gastgeberinnen, als 1980 eine Besuchergruppe aus dem (politisch) „westlichen“ Teil Staakens kam. (Zu diesem Besuch später mehr.) In ihrer Jugend fuhr sie ganz selbstverständlich nach Spandau wie auch jetzt wieder in den Jahrzehnten nach der „Wende“ und der „Vereinigung“. Die Pfarr-Familie Haack wohnte im Gemeindehaus Hauptstraße 12 kaum 10 Meter von der Mauer und einem Wachturm entfernt und diese extreme Grenz-Situation wirkte sich auf seine Gesundheit aus. 1984 verließ er die Gemeinde. Es gab danach eine Vakanzverwaltung, ab 1987 erfolgte durch viel ehrenamtliches Engagement eine erste Dachsanierung der Kirche und 1988/1989 traf sich mit dem neuen Pfarrer der „Staakener Kreis“, um die Verhältnisse in der DDR zu diskutieren. 1989 kamen Ausreisewillige dazu. Es war äußerst instruktiv für mich, 20 Jahre danach von den Überlegungen und Dilemmata der damaligen Gemeindeleitung zu hören: Wie weit kann und darf Seelsorge gehen? Und dann kam der 9. November 1989.

Mehr über die Grenz-Situation ist zu finden in „Grenzenlos – 25 Jahre Mauerfall; Jubiläumsfestschrift November 2014“.

Im III. Reich, Pfarrer Johannes Theile

Vor der Ost-West Spaltung nach 1945 war aber die gesellschaftliche und kirchliche Herausforderung des Nationalsozialismus zu bestehen und dieses auch in Staaken. Es ist eine Fügung gewesen, dass damals Pfarrer Johannes Theile schon in der Staakener Gemeinde tätig gewesen ist. 1927 ist er nach Staaken gekommen. Da sein Vater, ehemals Pfarrer, schon 1900 verstarb, kam er zur Schulbildung an die Franckeschen Stiftungen in Halle und ist

dort ohne Zweifel für sein späteres Leben geprägt worden. Er hat dort hebräisch gelernt, seinen Abitur-Aufsatz schrieb er 1910 zum Thema „O weh der Lüge“ und sein Vikariat absolvierte er unter anderem bei Friedrich Siegmund Schultze in Ost-Berlin, dort lernte er christlich-engagierte soziale Arbeit im Brennpunkt kennen. In Staaken stellte er für „neue gemeindliche Wege“ im Jahre 1937 den Siedlungs-Diakon Heinz-Otto Drephal ein, explizit für die Arbeit im neu erbauten Teil Staakens südlich der Lehrter Bahn.

Dort am späteren Cosmarweg 17/19, ließ er das schon genannte August- Hermann Francke Heim erbauen und am Ostermontag 1938 einweihen. Den Saal ziert (nach wie vor!) der Vers aus dem Jesaja-Buch, der auch in Halle bis heute am Schulgebäude der Franckeschen Stiftungen zu lesen ist: „….die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ (Jesaja 40, 31) Dieser kraftvolle biblische Vers hat Johannes Theile sicher geholfen, seinen so überaus schweren und herausfordernden Dienst in Staaken vor und nach 1945 zu tun. Er zählte sich zum entschiedenen Teil der Bekennenden Kirche, welcher die Dahlemer Linie verfolgte, also die damaligen offiziellen kirchlichen Leitungsorgane als illegitim betrachtete. Deshalb lud er sie auch nicht zu diesem Einweihungsgottesdienst ein. Mit dem (reformierten) Spandauer Superintendenten Martin Albertz hat er intensiv zusammenarbeiten können. Zu seinem Dienst gehörte auch die seelsorgerliche Begleitung der vielen zum Tode verurteilten und in der Murellenschlucht erschossenen sogenannten Wehrkraftzersetzer und Deserteure. Mit dem Siedlungsdiakon Drephal kam es zum Zerwürfnis, so dass letzterer 1944 die Gemeinde verlassen musste. 

Die Gemeinde Heerstraße Nord

Zur Staakener baulichen, gesellschaftlichen und gemeindlichen Entwicklung gehört auch die Gründung der evangelischen Gemeinde Heerstraße Nord am 1. Januar 1969. Sie war insofern besonders, dass sie das Resultat langjähriger inhaltlicher Planungen gewesen ist. Schon lange vor Baubeginn der Großsiedlung Heerstraße Nord befasste sich der evangelische Kirchenkreis Spandau mit dem Thema „Gemeindeaufbau in Neubaugebieten“, übrigens gemeinsam mit dem Kirchenkreis Neukölln, der sich mit dem Neubaugebiet Gropiusstadt zu befassen hatte.

In der Tat haben die kirchlichen Planungs-Gruppen voneinander gewusst. In Spandau waren die Impulse von Ernst Lange bestimmend, welcher seit 1960 die Ladenkirche am Brunsbütteler Damm mit Alfred Butenuth und anderen im Auftrag der Berliner Kirchenleitung ausdrücklich als experimentelles kirchliches Handlungsfeld aufgebaut hatte. Insgesamt drei Tagungen der evangelischen Akademie in den Jahren 1966 und 1967 führten dazu, das Profil der kirchlichen Arbeit in der Siedlung Heerstraße Nord zu bestimmen. Diese Arbeit wurde sozialraumorientiert beziehungsweise gemeinwesenorientiert erfasst, orientiert an den Bedürfnissen der Bevölkerung, so das Postulat.

Kirchlich-theologisch hatte Ernst Lange das als „konkret situationsbezogenes Handeln“ definiert. Seit 1960 arbeitete die „Dienstgruppe“ der Ladenkirche daran, sich die Situation der Bevölkerung zu erschließen, unter anderem durch aktivierende Befragungen. Ganz ähnlich begann die Vorbereitung der entscheidenden Spandauer Kreissynode vom November 1966 durch eine Befragung der evangelischen Gemeinden Spandaus durch den Kreiskirchenrat, die Bedingungen und Möglichkeiten ihrer Arbeit angesichts der damaligen gesellschaftlichen Herausforderungen betreffend.

Die Planungsgruppe Heerstraße Nord arbeitete mit dem Nachbarschaftsheim Charlottenburg zusammen. In den 60er Jahren wurde auch im Verband der Nachbarschaftsheime über die Grundlagen ihrer Arbeit diskutiert und eine Richtung wandte sich der Gemeinwesenarbeit zu. Letztlich führte das zum Umzug des Nachbarschaftsheims Charlottenburg in den Pillnitzer Weg und seiner Umbenennung in Gemeinwesenverein Heerstraße Nord zu Beginn der 70er Jahre.

Die Gemeinwesenarbeit ihrerseits bezieht sich auf die „settlement–Bewegung“, welche im 19. Jahrhundert in England und Nordamerika durch ganzheitlich in bestimmten Wohngegenden arbeitende kirchlich geprägte Menschen, unter ihnen auch Pfarrer, gegründet worden war. Die Lebenssituationen konkreter Menschen in konkreten Wohngegenden sollten konkret, ganzheitlich verbessert werden durch Menschen, die eben dort hinzogen. Gemeinsames Leben und Handeln war der Weg zum Ziel eines möglichst guten und gerechten Lebens für alle Bewohnerinnen und Bewohner.

Impulse dieser Arbeit wird Ernst Lange in den 50er Jahren in Harlem/New York kennen gelernt haben. Zu den Gemeindegründern in Heerstraße Nord gehörten Gerhard Niederstucke und Wolfgang Grünberg. Sie waren damals in ihren 20er und 30er Jahren und spürten in sich den Drang zur Veränderung auch der kirchlichen Verhältnisse nach den beiden verheerenden Weltkriegen. Und so kam es zu der damaligen Aufbruchsstimmung, die von damaligen Akteuren rückblickend so benannt wird. Grünberg selbst fasste es 2011 in diese Worte: „Wir waren jung und hatten den Kopf voller Theorien und Ideen. Wir hatten Lust und Energie, Neues auszuprobieren. Wir waren Zukunftstrunken: Wir werden die Kirche erneuern!“ (in der Festschrift zum 40-jährigen Bestehen des Gemeindehauses Pillnitzer Weg 8)

Nach den ersten Monaten der Gemeindearbeit in einem Ladenraum im Loschwitzer Weg 15 wurde am 30. Mai 1971 das Gemeindehaus Pillnitzer Weg 8 durch Bischof Kurt Scharf eingeweiht, die Predigt hielt damals Ernst Lange. Der Bau der Großsiedlung Heerstraße Nord begann 1968 im Westen, dem Loschwitzer Weg und wurde 1978 im Osten am Blasewitzer Ring beendet.

Im Januar 1978 wurde an der Obstallee 22 A-E das Gemeinwesenzentrum Heerstraße Nord eingeweiht, welches Kirchengemeinde und Gemeinwesenverein miteinander geplant und erbaut hatten. Eine Ärztegruppe gehörte seit Beginn der Planungen dazu und mit BewohnerInnen wurde 1974 der spätere Fördererverein für Senioren- und Behindertenarbeit gegründet. Der „Spielhaus e.V.“ war ebenfalls jahrzehntelang Partner im Gemeinwesenzentrum. Näheres dazu findet sich in der Festschrift zum 40-jährigen Bestehen des Gemeinwesenzentrums.

Dorfkirchengemeinde Staaken (West)

Anfang der 60er Jahre, so wird mir immer wieder erzählt, war es an der Spandauer Straße beim Brunsbütteler Damm noch sehr ländlich, mit Land- und Milchwirtschaft.

Die Dorfkirchengemeinde Staaken (West) konnte am 29. Mai 1966 am Brunsbütteler Damm 312 die Zuversichtskirche mit einer Prozession vom „Heim zur frohen Botschaft“ in der Spandauer Straße 109 und anschließendem Gottesdienst mit Generalsuperintendent Helbich einweihen. Der entsprechende Baubeschluss war schon 1960, also vor der Gemeindeteilung gefasst worden. Bis 1976 nutzte die Gemeinde noch das August-Hermann Francke Heim zu intensiver Arbeit mit Kindern, bis sie es dann an das Diakonische Werk übergab.

In den 90er Jahren war dort ein Frauenhaus. Inzwischen ist es im Privatbesitz, steht aber unter Denkmalschutz. Die Glocke des August-Hermann Francke Heim aus den 40er Jahren wurde der Gemeinde Heerstraße Nord geschenkt und steht bis heute vor dem Gemeinwesenzentrum Obstallee 22 A–E. Im Jahre 1972 wurde das „neue Gemeindehaus“, die BOJE, erbaut und 1973 hauptsächlich für die Jugendarbeit neu eingerichtet. Bis zum Umbau zur KiTa Arche Noah im Jahre 2012 blieb es im Wesentlichen bei dieser Nutzung. Seit 1990 arbeitete der Diakon Lothar Bärsch an diesem Ort.

Seit im Jahre 1975 Pfarrerin Gerda Nitschke in diese Gemeinde kam, hat sie ihre vorherigen tansanischen Beziehungen in ihre Staakener Arbeit eingebracht, so dass sich in den Folgejahren die Partnerschaftsarbeit mit der lutherischen Kana–Gemeinde in Tanga immer weiter und neu entwickelt hat. Auch die Arbeit der Kindertagesstätte ist bis 2012 am Brunsbütteler Damm 312 prägend geworden.

In den Jahren 1978 bis 1983 ist Pfarrer Jürgen Schulze in der Gemeinde tätig gewesen. Eigentlich, so erzählte er mir im Oktober diesen Jahres, wollte er im Sinne der Gemeinwesenarbeit arbeiten, doch die damals überaus große Zahl von kirchlich traditionellen Kasualhandlungen wie Taufen, Beerdigungenund Konfirmandenzahlen (bis zu 200!!), verhinderten das. Das Wohnen im Pfarrhaus am Brunsbütteler Damm 312, etwa 200 Meter von der Mauer entfernt, bedingte regelmäßige Spaziergänge eben dorthin und den immer neuen Anblick der „verfallenden“ Dorfkirche. Und so reifte die Idee eines Besuches dorthin, der im Jahre 1980 durchgeführt wurde (und schon kurz erwähnt worden ist).

Frau Müller, die Mutter von Karin Rockicki, gab die entscheidenden Impulse und so machte sich eine kleine Gruppe in einem Bus auf den Weg, der sie auch in die Dorfkirche führte. Die Atmosphäre war in diesem Grenzbereich sehr angespannt und so wurde die meiste gemeinsame Zeit in Dallgow herzlich mit Kaffee und Kuchen verbracht. Das Ehepaar Neidiger war damals mit von der Partie. Es blieb damals bei diesem einen Besuch.1 Allerdings scheint es noch andere „DDR“-Fahrten gegeben zu haben, im GKR-Protokollbuch wird für 1982 eine solche Sommer-Planung kurz und wie selbstverständlich für „alte Staakener und andere Interessierte“ notiert, viel mehr Raum nahm die oben erwähnte damals entstehende Gemeinde–Partnerschaft mit Tansania ein.

Mehr über diese Gemeinde ist zu finden in „50 Jahre Zuversicht (!); Festschrift Mai 2016“.

Zusammenschau

Diese hier nur äußerst bruchstückhaft beschriebenen Wirk-Orte machen die jetzige evangelische Kirchengemeinde zu Staaken aus. Sie birgt in sich mindestens die Zeit des III. Reiches, der Ost-West Spaltung und der (Wieder) Vereinigung sowie das kirchenreformerische Handeln der 60er Jahre im Kirchenkreis Spandau. Eigentlich aber ist in ihr auch schon die reformatorische Wende des 16. Jahrhunderts präsent. Insofern ist das Wandgemälde „Versöhnte Einheit“ in der Dorfkirche eine tatsächlich visionäre Darstellung, welche Pfarrer Rauer und der Maler Gabriele Mucchi gemeinsam Anfang der 90er Jahre erdacht haben,-noch über das hinaus, was sie beide damals vor Augen hatten.

Mir selber aber legt sich realistisch näher, beim Blick auf die gesamte Gemeindegeschichte von „Zwiespalt und Vielfalt“ zu sprechen, dies entspricht auch weithin der biblischen Überlieferung von Israel und den Völkern im Horizont Gottes.

Der im Zuge der Planung für das Gemeinwesenzentrum Obstallee 22 A-E gegründete Verein, seit 1975 „Fördererverein für Senioren- und Behindertenarbeit Heerstraße Nord e.V.“ sieht in seiner Satzung die Vertretung der evangelischen Gemeinde in seinem Vorstand vor. Seit 1975 haben jeweils Pfarrer der Gemeinde Heerstraße Nord, seit 1. Mai 1999 der evangelischen Kirchengemeinde zu Staaken, den Vorstandsvorsitz wahrgenommen.

Der Fördererverein Heerstraße Nord hat 1982 die erste Sozialstation Berlins gegründet und in diesem Zusammenhang Verträge mit der Dorfkirchengemeinde Staaken (West) und der damaligen Laurentius-Gemeinde (heute Weinberg–Gemeinde) zur häuslichen Versorgung der Patienten geschlossen. Die schon altkirchlich praktizierte gemeindliche Krankenpflege wurde im Gebiet Heerstraße Nord in diesen Verein „ausgelagert“. Dies hat dank der engagierten Tätigkeit der Gemeindeschwester Erika Stiller und ihren Kolleginnen zu entscheidender Professionalisierung der Arbeit beigetragen. 1984 wurde im Pillnitzer Weg 8 die erste Krankenwohnung Deutschlands gegründet. Nach der (Wieder)vereinigung weitete der Fördererverein seine Tätigkeit auf West-Staaken aus, welches seit dem 3. Oktober 1990 zum Bezirk Spandau gehörte. In den Festschriften zum 40-jährigen Bestehen der Häuser Pillnitzer Weg 8 (2011) und Obstallee 22 A-E (2018) ist mehr über den „Fördererverein…“, seine Arbeit und sein Selbstverständnis zu lesen.

Auch diese jahrzehntelange enge Zusammenarbeit trägt zur Vielfalt gemeindlichen Wirkens in Staaken Entscheidendes bei.

Ein Blick voraus

Gegenwärtig beginnt ein neues Kapitel der Gemeindegeschichte. Wie schon kurz am Ende des 1. Kapitels erwähnt, planen wir am Brunsbütteler Damm 312 den Rückbau der Zuversichtskirche und den Neubau eines neuen Ensembles. Die im Grunde seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts erkennbare Entwicklung des Rückgangs der Gemeindegliederzahlen zwingt uns nun auch in Staaken zu deutlichen Folgerungen.

Inzwischen längst in einer Minderheitenposition liegt uns nach wie vor am ganzheitlichen Wirken zugunsten aller Menschen in Staaken. Deswegen haben wir uns schon 2017 auch am Brunsbütteler Damm 312 mit dem Gemeinwesenverein Heerstraße Nord zusammengetan und betreiben dort gemeinsam das Begegnungszentrum Zuversicht. Wir können als Kirche nicht mehr nur allein auf uns gestellt, die Herausforderungen des modernen Lebens im 21. Jahrhundert für die Staakener Bevölkerung meistern. Deshalb bauen wir im Rahmen des Senatsprogramms „Stadtumbau West“ ein neues Begegnungszentrum, welches, wie schon erwähnt, einen Kirchraum, ein Stadtteilzentrum, ein Café, eine Kindertagesstätte sowie einen Inklusionsbetrieb beinhalten wird. Der bevorstehende Abschied von der Zuversichtskirche bestimmt seit einigen Jahren unser gemeindliches Leben und kommt in diesen Monaten in seine entscheidende Phase.

Cord Hasselblatt

Dies könnte Sie auch interessieren

0
Feed